Die iPhone Kamera ist grade sprunghaft besser geworden

Die Diskussion ist ja nicht ganz neu, wird aber mit jeden neuen iPhone und jeder neuen Systemversion neu befeuert: braucht man noch eine „richtige“ Kamera oder reicht die, die man sowieso immer dabei hat? Aktueller Fall für das Neudenken dieser Frage ist die Vorstellung einer neuen Kamera-App, „Projekt Indigo“ von Adobe. Eigentlich ist es eine Kamera für Lightroom, obwohl die Lightroom-App ja auch schon eine Kamera hat, aber, ehrlich gesagt – nicht die angenehmste. Allein diese umständliche Art, die Brennweite auszuwählen nervt jedes Mal. Direkte Brennweitenanwahl – Fehlanzeige. Statt dessen muss man, um von einer Brennweite zur anderen zu kommen, z.B. von Tele auf normal, sich durch alle anderen Brennweiten quälen. Und die errechneten Auflösungen wie die 2x Einstellung gibt es schon mal gar nicht. Und wo wir grad dabei sind: Seit diversen Updates von Lightroom auf dem iPhone warte ich auf die Möglichkeit, die Lightroom-Kamera mit der Kamerataste direkt zu öffnen- das geht mit PI. Jetzt ahne ich, warum Adobe das nicht eingebaut hat. All diese Dinge löst Projekt Indigo, kurz PI.

Allgemein

Laut dem Blogpost von Adobe mit dem Titel „Project Indigo – a computational photography camera app“ zum Erscheinen der App ist der Ansatz von Adobe, die sogenannte computational photography, also die durch Rechenleistung unterstützte und verbesserte Photographie auszureizen. Das ist der Ansatz, den Apple selbst für sich in Anspruch nimmt, und Adobe geht diesen Weg weiter. Kleines Beispiel Bildrauschen: Das ist bei den im Vergleich zu Vollformatkameras winzigen Sensoren deutlich höher und die Bilder aus dem iPhone sind auch lange nicht so robust für Bearbeitungen wie die fetten Dateien z.B. aus eine Nikon Z7. Um dieses Rauschen zu unterdrücken, nimmt PI bis zu 32 Bilder kurz hintereinander auf, belichtet diese Bilder knapp, also leichte Unterbelichtung, um die Lichter nicht zu beschneiden und rechnet die Bilder dann zusammen. Ergebnis laut Adobe reduziertes Rauschen. Der Faktor für die Rauschreduzierung kann errechnet werden aus der Wurzel der Anzahl der aufgenommenen Fotos, also bei 9 Aufnahmen sinkt das Rauschen um den Faktor 3. Sehr schön zu sehen im Beitrage bei der im Dunkeln aufgenommenen Standuhr. Das Ziel von Adobe ist es, DSLR-ähnliche Bilder zu erzeugen und dem Fotografen weitreichende Kontrolle über Steuerung und Qualität zu geben. Und hier unterscheidet sich der Ansatz von Apple und Adobe: Apple verrechnet auch viele Bilder und macht in der Bilderzeugung viele Kunststücke, liefert aber das Ergebnis als JPEG aus. Adobe liefert neben dem JPEG auch eine RAW-Datei aus! Und die Übernahme in Lightroom auf dem iPhone ist dann nur ein Klick entfernt.

Dateiformat, HDR vs. SDR

PI speichert alle Aufnahmen in einer Kombination von JPEG und DNG. Bei der Weitergabe kann man sich entscheiden, welches Format man weiter gibt. Alle Aufnahmen werden im HDR-Modus mit erweitertem Farbumfang aufgenommen, und abgespeichert in einem speziellen Format, dem sich Adobe, Apple, Google, Meta und viele andere angeschlossen haben. 

(Technischer Hintergrund: https://www.iso.org/standard/86775.html)

Kurz gesagt: Jedes Gerät zieht sich aus dieser Datei die Darstellung, die es verarbeiten kann. Technisch gelöst ist das so, dass eine Datei in SDR (Standard Definition) gespeichert wird und in der Datei eingebettet ist eine „Gain Map“, die die Unterschiede zu HDR beschreibt. Adobe selbst sagt über PI:

„In short, this is an HDR camera from the get-go, but with a graceful fallback to SDR.“

Verarbeitungspipeline von PI
Verarbeitungspipeline von PI

Manuelle Steuerungen

Sind die Pro Kontrollen aktiv, kann man das sogenannte Belichtungsdreieck (Blende, Zeit, ISO) manuell einstellen. Eigentlich ist es nur ein „Zweieck“, weil das iPhone ja eine feste Blende hat. Auf diesem Bild auch zu sehen der „Verwackelungsanzeiger“ oben links im Bild und die Wasserwaage.

Einstellungen_2

Normal vs. NightMode

Nach dem Start der App wird prominent angeboten „Photo“ und „NightMode“. Der Photo-Mode löst verzögerungsfrei aus, der Nachtmodus hat je nach Lichtverhältnissen eine kleine bis größere Verzögerung, wobei die Belichtung auf bis zu 32 Aufnahmen mit jeweils 1 Sekunde Belichtungszeit ausgedehnt werden kann – wenn die Kamera auf einem Stativ steht.

Super Resolution

Adobe bietet alle nativen Auflösungen in einer Tastenreihe an, eingestreut sind noch zwei Auflösungen 2x und 10x (bei Kameras mit 5x Objektiv) mit einem kleinen „SR“-Symbol oben am Rand. SR bedeutet „SuperResolution“, und was soll man sagen: Die Ergebnisse sind beeindruckend. Die gute Qualität kommt daher,  dass die App aus den minimalen Ortsveränderungen und damit Sichtwinkeln durch die unwillkürlichen Bewegungen während der Aufnahme verschiedene Perspektiven hat, um Objekte schön zu rechnen. Alle mit „Super Resolution“ aufgenommenen Bilder werden als DNG & JPEG gespeichert. Mein iPhone 16 Pro Max hat jetzt ein 200mm Tele eingebaut!

Mit Blitz arbeiten?

Naja, nicht ganz, aber doch. Mit Hilfe der Pro Controls kann man die Kamera so einstellen, dass die Belichtungszeit 1 Sekunde ist und nur ein „Frame“ belichtet wird. Und innerhalb dieser einen Sekunde wird dann manuell ein Blitz gezündet. Die Einstellungen dafür werden im „Night-Mode“ aktiv.

Ai dabei

Ein weiteres interessantes Feature ist der Lab-Bereich. Läßt man sich in Indigo ein gemachtes Foto anzeigen, kann man über den mittleren Knopf mit dem Laborglas aktuell in der Erprobung befindliche AI-Komponenten lokal laden und auf die aufgenommenen Photos anwenden. Da ist aktuell das bereits in Lightroom vorhandene „DeNoise“, eine Ai-Rauschunterdrückung, als auf die grad neu erschienene „Remove Reflexions“, das Entfernen von Spiegelungen, enthalten. Lassen Sie das auf das Photo los, wird es anschließend als JPEG-gespeichert. Wer das Photo an Lightroom weitergibt, sollte diese Ai-Komponenten besser Lightroom überlassen!

Kein 48MP

Keine Kamera-App ausser der Apple-eigenen kann ein 48MP-Bild von der Hauptkamera als RAW anfordern, Apple erlaubt nur die Ausgabe als ProRaw – und das ist genau genommen nicht mehr RAW sondern schon bearbeitet.

Pfiffige Dinge

Der „Waagerecht“-Anzeiger ist gut gelöst: wenn die Kamera nicht waagerecht gehalten wird ist nichts zu sehen, nähert man sich der Idealposition, wird er als gelber Strich sichtbar, der, je mehr man sich der Waagerechten nähert, länger und dicker wird. 

Ruhig halten“-Indikator (der als Teil der Pro-Kontrollen angezeigt wird): auch hier einfach aber clever. Oben links in der Ecke ist ein kleines iPhone-Symbol, um den ein wechselnd farbiger Kreis ist. Je ruhiger man das iPhone hält, um so vollständiger wird der Kreis und wechselt seine Farbe von Rot zu Grün. Den ganzen, grünen Kreis erhält man nur auf einem Stativ. 

Fazit

Wer einigermaßen ernsthaft photographiert sollte sich diese aktuell noch kostenlose App aus dem Store laden und nutzen!